Oberhessische Presse Marburg, 03. Juli 2000
Protest und Fest verlaufen friedlich nebeneinander
Marktfrühschoppen-Verein hat Platz schon für nächstes Jahr reserviert
von Gabi Neumann
Nach dem Marktfrühschoppen
ist vor dem Marktfrühschoppen: "Wir veranstalten das Fest im kommenden Jahr wieder.
Der Platz ist schon reserviert", sagt Kirsten Pfeiffer-Ehlebrecht, Vorsitzende des
eigens für den Marktfrühschoppen gegründeten Vereins. "Wenn das Fest in dieser
Form wieder stattfindet, wird der Protest stärker
werden", kündigt André Berg vom PDS-Kreisvorstand an. Die PDS-Hochschulgruppe hatte
in diesem Jahr die Demonstration gegen den Marktfrühschoppen angemeldet. Die Demo verlief
friedlich, ebenso wie das Fest, auf dem nach Ablauf der Demo auch viele
Demonstrationsteilnehmer zu sehen waren. Im Gegensatz zu früheren Jahren versuchten die
Demonstranten nicht, auf den Marktplatz zu gelangen, sondern liefen nach einer kurzen
Kundgebung am nahegelegenen Heumarkt auf der vorgeschriebenen Route zur Unistraße weiter.
Mehr als die Demonstration fiel vielen Gästen des Marktfrühschoppens die Polizeipräsenz
ins Auge. "Mich irritiert das massive Polizeiaufgebot. Das kann man doch auch anders
regeln", meint etwa der Diplom-Soziologe Andreas Reichert (24). Gemeinsam mit zwei
Freunden besucht er seit Jahren den Frühschoppen "weilwir uns immer wieder über das
massive Auftreten der Farbentragenden amüsieren".
"Das ist typisch Marburg", findet die ehemalige Marburgerin Anne Grothe (29),
die gestern zufällig in der Stadt war: "Da gehört der Marktfrühschoppen genauso
dazu wie die Gegendemonstration. "Aus Trotz geht Klaus Scharf (57) zum
Marktfrühschoppen. "Mir ist es wichtig, dass man zusammensitzt, etwas trinkt, und
sich unterhält. Es ist bedauerlich, dass das Polizeiaufgebot so groß ist, dadurch kommt
keine rechte Stimmung auf, sagt Scharf. " Die Polizei muss bei einem solchen Ereignis
professionell auftreten, und ein großes Polizeiaufgebot wirkt auch präventiv, sagt dazu
Polizeisprecher Werner Tuchbreiter. "Das Problem bei der momentanen Situation ist,
dass sich eine Null-Toleranz-Haltung entwickelt", sagt ein Marburger Stammgast auf
dem Marktfrühschoppen, der namentlich nicht genannt werden will. "Eine Demokratie
muss solche Auseinandersetzungen aushalten", meint er. Und schließlich biete das
Fest auch für die Gegner die Gelegenheit, mit Andersgesinnten ins Gespräch zu kommen.
"Ich komme hierher, um alte Freunde zu treffen und Leute zu sehen, die ich sonst das
ganze Jahr über nicht treffe", sagt Rudolph Braun-Elwert. Rund die Hälfte der
Besucher des Festes waren nach Einschätzung des Veranstalters farbentragend. "Es
gibt dunkle und helle Seiten in der Tradition unserer Verbindung, aber das hat nichts mit
dem Marktfrühschoppen zu tun. Hier feiern Marburger mit ihren Studenten", sagt
Jura-Student Tobias Mittrach (25), Mitglied im "Corps Teutonia". "Ein von
Burschenschaften und Korporationen dominertes Fest ist nicht mehr zeitgemäß, weil es
nicht das Studierendenspektrum repräsentiert", kritisiert Berg. Genau ein Jahr haben
Veranstalter und Gegner jetzt Zeit, sich für die Saison 2001 mit dem Thema
Marktfrühschoppen auseinanderzusetzen. Denn wie gesagt: nach dem Marktfrühschoppen ist
vor dem Marktfrühschoppen. |