Ein Marktfrühschoppen, der es in sich hat. "Wie ein
öffentlicher Festkommers von Korporierten" / Magistrat springt als Veranstalter ein.
Frankfurter Rundschau, 30.06.1997, S. 23
Von Gesa Coordes
MARBURG. Marktfrühschoppen
- das klingt nach einem harmlosen Volksfest. Doch die traditionelle Feier ist längst aus
den Fugen geraten. Korporationen bestimmen das Bild des Frühschoppens, der in den Augen
der Kritiker ein "deutschtümelndes Trinkgelage" ist. 1995 flogen Farbbeutel und
Stinkbomben. 1996 riegelte eine Hundertschaft der Polizei den Marktplatz ab.
Statt Bier, Schlagern und gemütlichem Beisammensein befürchtet der bisherige
Veranstalter Manfred Gundlach von der Oberstadtgemeinde jetzt abermals gewalttätige
Auseinandersetzungen. Der Zusammenschluß von Bewohnern der Oberstadt, der das Fest seit
31 Jahren ausrichtet, will dies nicht noch einmal erleben. Gundlach sagte deshalb die für
den 6. Juli geplante Veranstaltung ab - jetzt wird der Magistrat gemeinsam mit den
Stadtteilgemeinden einspringen.
Entstanden ist der Marktfrühschoppen, der jedes Jahr rund 7000 Besucher anzieht,
eigentlich schon 1903. Am letzten Tag des Semesters gaben die Marburger Wirtsleute, bei
denen Studenten zur Untermiete wohnten, den Studiosi Bier aus. 1951 wurde das Fest wieder
eingeführt, wenngleich die Hochschüler ihre Getränke heute selbst zahlen müssen.
Es blieb jedoch dabei, daß überwiegend Verbindungsstudenten beim Marktfrühschoppen
auftauchten, wenngleich Stadtpressesprecher Erhard Dettmering betont, daß
"mindestens ein Drittel" der Gäste nichtfarbentragend sei. Zudem seien die
Marburger Korporationen, von denen einige eine Grundsatzerklärung gegen Rassismus und
antidemokratisches Denken unterzeichnet hätten, politisch sehr unterschiedlich.
Doch das Fest, das auch die Studentenrevolte unbeschadet überstand, steht seit einigen
Jahren im Kreuzfeuer der Kritik. Es werde wie ein öffentlicher Festkommers von
Korporierten mit Trinken auf Kommando und "Studentenliedern" abgehalten, moniert
die PDS-Fraktionsvorsitzende Eva Gottschaldt. Zudem sei die unrühmliche Geschichte der
Verbindungen völlig unberücksichtigt geblieben.
Nach den Farbbeutelwürfen des Jahres 1995 sperrte die Polizei 1996 den Platz ab. Besucher
wurden nur nach Gesichtskontrolle eingelassen, rundum Filmkameras installiert. Am Rande
des Marktplatzes gab es Handgreiflichkeiten zwischen Demonstranten und den mit
Diensthunden angerückten Polizisten. Selbst eine Salatschüssel wurde als potentielles
Wurfgeschoß beschlagnahmt. Demonstranten sprachen von "Prügeleinsatz".
So ein Fest wollte Veranstalter Gundlach nicht noch einmal. Der Installateur und SPD-Mann
holte die Kritiker des Marktfrühschoppens vom Antifaschistischen Ratschlag über den
Ausländerbeirat bis zu den Parteien an einen Tisch und machte einen überraschenden
Kompromißvorschlag: Die Verbindungen sollten in diesem Jahr weder extra eingeladen noch
begrüßt werden. Zudem gab er sein Wort darauf, daß es nicht wieder zu einem großen
Polizeieinsatz kommen werde.
Daraufhin versuchte die Burschenschaft "Arminia", den Marktfrühschoppen ins
katholische Amöneburg zu verlagern. Der dortige Magistrat befürchtete Ausschreitungen
und entschied, daß ihr Marktplatz für so ein Treffen zu klein sei. Nach einem Gespräch
mit der Oberstadtgemeinde beschloß offenbar ein Großteil der Verbindungen, doch wieder
an dem Fest teilzunehmen. Gundlach berichtet jedoch, daß einige aufgrund der aktuellen
Entwicklungen wegbleiben wollten.
Gundlach konnte nur einen Teil der Kritiker überzeugen. Eva Gottschaldt hatte mit der
Veranstaltung "kein politisches Problem mehr". Sie rief dazu auf, den
Marktfrühschoppen zu einem "gemeinsamen Fest der international zusammengesetzten
BürgerInnen- und Studierendenschaft" zu machen, damit die Korporationen schneller
merkten, daß dies nicht mehr ihr Fest sei.
Dagegen nahm der Allgemeine Studentenausschuß (AStA) an dem runden Tisch gar nicht erst
teil. Begründung: Es deute alles darauf hin, daß der Marktfrühschoppen mit
unwesentlichen Änderungen wie bisher durchgezogen werde. Das Fest werde "sicher auch
diesmal hauptsächlich ein Fest der studentischen Verbindungen sein". Zumindest den
drei für ihre Offenheit gegenüber rechtsextremistischen Positionen bekannten
Burschenschaften müßte klargemacht werden, daß sie nicht willkommen seien. AStA-
Vorsitzende Judith Klapproth meldete eine Gegendemonstration an, die allerdings nicht
über den Marktplatz verlaufen soll.
Entsetzt war Gundlach zudem über ein Flugblatt der studentischen Liste "Linkes
Bündnis", in dem er wegen seiner Reaktion auf den Polizeieinsatz im vergangenen Jahr
als "völkischer Agitator" beschimpft wurde. Er fürchtet nun, daß er sein
Versprechen - keinen großen Polizeieinsatz mehr - nicht halten kann: "Ich will ein
friedliches Fest oder gar keines."
Jetzt wird der Magistrat gemeinsam mit den Stadtteilgemeinden die Organisation
übernehmen. Oberbürgermeister Dietrich Möller (CDU), der ebenso wie Gundlach auf die
Kritiker eingehen will, meinte: "Es muß sichergestellt werden, daß der
Marktfrühschoppen nicht von einigen Chaoten kaputtgemacht wird." |