Marktfrühschoppen kippen!
Originalquelle: http://www.antifaschistinnen.de/Texte/mfs/mfs2001/kippen.htm

Den Marktfrühschoppen kippen!
Quelle: Gruppe dissident

Dass die "Deutsche Burschenschaft" (DB) nationalistisch, rechts und völkisch ist, weiß mittlerweile jedeR in Marburg. Dass darüber hinaus einige Burschenschaften, vor allem die Marburger Burschenschaften "Rheinfranken", "Germania" und "Normania Leipzig", auf dem extrem rechten Flügel innerhalb der DB stehen, weiß sogar die "Oberhessische Presse" (OP) zu berichten.

Auch die Marburger SPD stellte sich im April 2001 eindeutig gegen die DB, als diese in der Stadthalle tagte. Lediglich Oberbürgermeister Dietrich Möller mit samt seiner CDU gehört noch zu den ewig Gestrigen, die sich nicht vom braunen Rand der bundesdeutschen Gesellschaft abgrenzen wollen. Möller sprach im April auf dem außerordentlichen Burschentag der DB und fand es nicht kritikwürdig, auch die erste Strophe des "Deutschlandliedes" (" ... von der Maas bis an die Memel ...") zu singen. Und so versammelte sich dann Anfang April eine Koalition von Autonomen bis hin zur SPD, dem DGB und B`90/Die Grünen in der Stadt, um gegen den außerordentlichen Burschentag zu demonstrieren.

Anders sind die Koalitionen beim alljährlichen Marktfrühschoppen gestrickt: "Traditionell" wird dieser seit bald 50 Jahren gefeiert. Korporierte fast aller Couleur saßen und standen gemeinsam mit den Marburger BürgerInnen auf dem Markt und kippten sich zu Blasmusik und völkischen Gesängen Bier in den Magen - veranstaltet von den Wirten und der Stadt. Lange Jahre wurden die Verbindungen schriftlich eingeladen, ihnen waren Tische reserviert und jede Verbindung wurde einzeln mit Namen auf dem Markt begrüßt. Die Korporierten dominierten den Frühschoppen mit ihren Uniformen und ihrem Verhalten: Trinkrituale, nationalistische Reden und Gesänge und die Dominanz weißer, deutscher Männer. Und so wurde unterschiedslos allen Verbindungen ein Forum geboten für ihr Elitebewusstsein, Nationalchauvinismus und das Männer- und Lebensbundprinzip. Seit einigen Jahren ist das einträchtige Nebeneinander von rechtsextremen Burschenschaften, angeblich "liberalen" Verbindungen und "unpolitischen" BürgerInnen nicht mehr so, wie es immer war. Denn plötzlich störte antifaschistische Kritik dieses Treiben und große Aufregung verbreitete sich. Seit dem wird in Marburg alljährlich gestritten. Der Marktfrühschoppen ändert nun alljährlich sein Gesicht in Details und behält doch all` das bei, was ihn ausmacht - er ist eine Feierlichkeit der Korporationen. Selbst Minimalforderungen, wie z.B. die explizite Ausladung der rechten Deutschen Burschenschaft oder die Ergänzung des Festes durch "Multi-Kulti" sind für die Verantwortlichen zuviel. Ganz im Sinne der unwissenschaftlichen und interessensgeleiteten Totalitarismustheorie erklärte jüngst der Marktfrühschoppen-Verein in der OP: "Der Marktfrühschoppen-Verein distanziert sich ausdrücklich und uneingeschränkt von allen Gruppen, Vereinen und Verbindungen, die durch Wort und Tat zu erkennen geben, dass ihre Einstellung zu Gesellschaft und Staat durch rechts- oder linsradikales Gedankengut geprägt ist". Erstaunlicherweise distanziert sich der Verein aber nicht von eindeutig rechtsextremen Burschenschaften wie den "Rheinfranken". Die "Deutsche Burschenschaft" machte jüngst wieder einmal Schlagzeilen, als an die Öffentlichkeit drang, dass die "Danubia München" einen gesuchten Nazi-Schläger in ihrem Haus versteckte. Ein "Danube" hatte zuvor eine Party von Rechtsextremen mitorganisiert, in deren Verlauf ein unbeteiligter Passant fast zu Tode geprügelt wurde. Selbst Bayerns erzkonservativer Innenminister Beckstein (CSU) musste mittlerweile vor rechtsextremen Strömungen in der DB warnen.

Warum auch die SPD nichts gegen den Marktfrühschoppen hat

Und auch die SPD kann sich nicht zu einer klar ablehnenden Haltung gegenüber dem Marktfrühschoppen durchringen. War doch bis vor kurzer Zeit noch alljährlich eine Delegation auf dem Marktplatz vertreten - ganz abgesehen davon, dass sich auch in den Reihen der Sozialdemokratie eine Reihe von Korporierten und Alten Herren tummelt.

Nicht alle Korporierten sind Nazis - oder: Warum der Marktfrühschoppen trotzdem weg muss

Der Marktfrühschoppen eignet sich hervorragend, um (wieder) einmal eine grundsätzliche Kritik am Korporationswesen zu formulieren: Die Kritik aus den Reihen von SPD, Grünen, DGB etc. stützt sich oftmals nur auf die rechten Tendenzen in der Deutschen Burschenschaft. Diese sind einfach zu belegen, treffen aber bei einer Veranstaltung wie dem Marktfrühschoppen nicht den Kern. Denn bei dieser Veranstaltung treffen sich halt nicht ausschließlich rechtsextreme Burschenschaften, sondern die gesamte Breite des Korporationswesens. Die Rechtsextremismus-Argumentation hat den Nachteil, ungenau zu sein und allen Verbindungen fälschlicherweise eine extrem rechte Ideologie zu unterstellen und zum anderen wird eine Aufspaltung des Korporationswesens in "Gute" und "Schlechte" Verbindungen vorgenommen. Doch so einfach ist es mit "Gut" & "Böse" dann doch nicht: Denn kritikwürdige und abzulehnende Aspekte sind bei allen Verbindungen zu finden.

Dieses sind Hierarchien und das Lebensbundprinzip, männerbündische Strukturen, eine konservative Grundeinstellung und unhinterfragte Traditionen.

Dies alles sind Elemente, die - in verschiedener Form und Ausprägung - auch in anderen Gruppen zu finden sind. Doch sind sie bei Studentenverbindungen besonders ausgeprägt und entfalten hier eine besondere politische und gesellschaftliche Wirkungsmächtigkeit, da die Verbindungen mit dem Anspruch auftreten, zukünftige Eliten herauszubilden und zu erziehen - Korporationen sind also nicht mit einem beliebigen "TaubenzüchterInnenverein" vergleichbar. Betrachten wir einmal die Protektionsmechanismen der Verbindungen, die "Verbandsbrüder" in führende Stellungen von Politik, Wirtschaft und Verwaltung entsenden, wird dieser Anspruch auch in die Realität umgesetzt. Der ehemalige Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) und selbst Mitglied des Marburger Corps Guestphalia et Suevoborussia sagte, er sähe den Sinn einer Verbindung darin, "auch weiterhin national gesinnte Menschen in alle führenden Berufe unserer Gesellschaft zu entsenden" .

Hierarchien & Lebensbund

Füxe, Burschen, Alte Herren - das sind die drei hierarchischen Ebenen in allen Verbindungen. Vor allem die Rolle der Alten Herren als "Geldgeber" bedeutet auch eine exponierte Stellung für diese innerhalb der Verbindungen. Durch die finanzielle Abhängigkeit und die Hoffnung auf Protektion werden Abhängigkeiten geschaffen und die Möglichkeit für Kritik an Ideologie und Verhalten der Alten Herren eingeschränkt. Immer wieder gab und gibt es Konflikte innerhalb von Korporationen zwischen Aktivitas und Alten Herren, die zumeist im Zweifel durch autoritäre Maßnahmen zugunsten der Alten Herren entschieden wurden. Fortschrittliche Impulse ergeben sich aus solchen hierarchischen Strukturen nicht. In dieselbe Richtung zielt auch die Kritik am korporierten Lebensbund-Prinzip: Die Lebensgemeinschaft von jung und alt machte und macht eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit innerhalb der Korporationen schwierig, wenn nicht unmöglich, weil Konflikt vermieden und Anpassung angestrebt werden. Vor diesem Hintergrund sind nicht nur weitgehende personelle, sondern v.a. auch ideologische Kontinuitäten gegeben.

Männerbund

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann sich die hierarchisch konzipierte Ideologie des Geschlechterantagonismus auszuformen: Es entstand ein immer stärker männliche und weibliche Stereotype festschreibendes Rollenverständnis. Mit dem Verweis auf eine angebliche "natürliche Bestimmung" der Geschlechter wurde so männlich und weiblich strikt getrennt und den Begriffen bestimmte Verhaltensmuster zugeschrieben. Männlich wurde immer stärker durch martialisch-heroische Züge geprägt. Parallel zu dieser Diskussion um die Geschlechterpolarität stand auch die Entwicklung der burschenschaftlichen Bewegung. Waren die Verbindungen zu dieser Zeit ganz selbstverständlich reine Männerverbindungen - Frauen war der Zugang zu den Universitäten noch verwehrt - so entwickelten sich den Vorstellungen entsprechende Verhaltensweisen und Rituale: Schlüsselbegriffe dafür waren "Ehre", "Mut", "Kameradschaft", "Wehrhaftigkeit", "Patriotismus". Diese werden bis heute ebenso gepflegt wie spezifische Formen studentischen Brauchtums: Körperlich-männliche Härtetests und Tauglichkeitsprüfungen, mit denen die "Neuen" Härte demonstrieren und vermeintlich "weibliche" Charakterzüge wie Emotionalität und Schwäche überwinden sollen. Mensur und Trinkrituale, bei denen die eigenen Grenzen überwunden werden müssen, sind die bekanntesten Beispiele. Diese Erziehungsrituale dienen dazu, "weibliche" und zivile Eigenschaften im "Manne" zu überwinden und zu negieren. Der Soziologe und Philosoph Theodor W. Adorno hat derartige Gebräuche in seinem Aufsatz "Erziehung nach Auschwitz" als "eine unmittelbare Vorform der nationalsozialistischen Gewalttat" definiert.

Da die Herrschaftsordnung im 19. Jahrhundert den Ausschluss von Frauen aus der Öffentlichkeit sicherte, war eine explizit männerbündische Legitimation für die eigene Organisationsform nicht notwendig. Erst als zum Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts die bis dahin festgefügte Herrschaftsordnung durch gesellschaftliche Modernisierungsprozesse und die sie begleitenden Emanzipationsbewegung - die Frauen- und ArbeiterInnenbewegung - massiven Angriffen ausgesetzt war, wurden - quasi als "Abwehrhaltung" - erste Überlegungen hinsichtlich einer spezifisch-männlichen Separierung laut. Zu dieser Zeit entstand eine explizite geschlechts-dualistisch ausgerichtete Männerbund-Ideologie. Diese wurde als idealer Gegenpart - gepaart mit einer autoritären Staatsauffassung - zur Abwehr von Zivilisation, Demokratie und Gleichberechtigung angesehen. Ein derartiger Männerbund konstruiert in Permanenz sowohl die "friedfertigen Frau" als auch den "aggressiven Mann" und schreibt damit eine angeblich "natürliche" Geschlechterordnung fest. Bis heute haben diese Ideen in den Verbindungen überlebt: Mal ausgeprägter in den schlagenden Verbindungen (Burschenschaften, Corps, Coburger Convent), mal weniger in anderen Verbänden. Dachverbände die heute sogar Frauen aufnehmen, sind im Kanon der Verbindungen Außenseiter. Die konservative, dualistische Vorstellung der Geschlechterrollen herrschen bis heute - nicht nur in Verbindungen - vor. Und so kann man auch heute in den Selbstdarstellungen der Verbindungen lesen: "Frauen können unserer Verbindung nicht beitreten (...). Wir meinen, dass durch eine aus beiden Geschlechtern bestehende Mitgliedschaft innere Konflikte entstehen können, die uns nicht helfen, unsere Ziele zu verwirklichen." (Sängerschaft Gotia et Baltia Kiel zu Göttingen) Und so wird im Männerbund das Prinzip der Ungleichheit sowohl gepredigt als auch gelebt.

Der Diskriminierung von Frauen macht sich also nicht an der Nicht-Aufnahme von Frauen in die Verbindungen fest. Zu kritisieren ist vielmehr die dahinterstehende Ideologie des Biologismus. Denn die korporierte Vorstellung geht vom "Dualismus" der Geschlechter aus. Es wird also die Auffassung vertreten, es gebe - abgesehen von körperlichen Unterschieden - biologisch determinierte Gründe für die Unterteilung in die Kategorien Mann und Frau. Also die Annahme, bestimmte Verhaltensweisen wären biologisch veranlagt. Dieser konservativen und reaktionären Ideologie gegenüber gilt es daher, "Geschlecht" als soziale Konstruktion zu begreifen und die Art und Weise ihre Reproduktion zu verstehen, um sie letztendlich dekonstrieren zu können (vgl. hierzu Gildemeister/ Wetterer 1992) .

Schlussendlich - eher eine nur noch überfällige Randnotiz: Nahezu alle Korporations-Dachverbände arbeiten gemeinsam im Convent Deutscher Akademiker (CDA) und Convent Deutscher Korporationsverbände (CDK) zusammen, um dort Verbandsübergreifende Zusammenarbeit zu organisieren und gemeinsame Belange aller Dachverbände zu regeln. Es kann also keine Rede von allzu großer Distanz sein.

Und dieses Jahr?

Dieses Jahr hat der Korporierte Heiko Schomberg (Corps Suevia-Straßburg) den Marktfrühschoppen angemeldet. Er ist das ideale Feigenblatt, um die antifaschistische Kritik abprallen zu lassen, die sich lediglich am Rechtsextremismus einiger Verbindungen festmacht. Denn der Doktorand aus Marburg arbeitet zum Thema "Rechtsextremistische Internetauftritte" und wurde im "Antifa-Sommer 2000" zu einem von 21 "Coaches", die sich im Rahmen der Initiative "fairlink" gegen Nazis im Internet engagierten. Die "OP" hypte ihn sogleich zum Ansprechpartner für interessierte Jugendliche und Schulen in Marburg. Hinter Schomberg steht der "Marktfrühschoppenverein, Bürgerinitiative zur Erhaltung alter Marburger Traditionen". Dieser wurde Anfang 2000 von Tilman Pfeiffer, einem "Alten Herren" der Burschenschaft "Arminia", gegründet. Vorsitzende ist seine Frau Karen Pfeiffer-Ehlebrecht, er ist der zweite Vorsitzende. Schon 1999 hatte er über die OP einen nicht offiziell angemeldeten Markfrühschoppen angekündigt und offensichtlich auch organisiert. Unerschrocken machte sich Pfeiffer - mit drei f - im Jahr 2000 dann an`s Werk und verkündete die Gründung eines Vereins. Großmäulig ließ er die Öffentlichkeit per "OP" wissen: "Den Marktfrühschoppen kann man nicht abdrehen wie einen Wasserhahn."

Es ist eindeutig: Das Verbindungswesen insgesamt - selbst das "Liberale" - enthält keine fortschrittlichen Ideen. Vielmehr steht es progressiver Politik diametral gegenüber.

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